AUSGEWÄHLTE KAPITEL AUS DER SYNTAX
Das Prädikat (P)
Die Grundmerkmale (formales/ semantisches/ morphologisches Kriterium):
- formales Kriterium:
Ein Prädikat ist ein obligatorisches Satzglied, das durch ein Verb gebildet wird. In realen Kontexten kann das Prädikat durch ein Verb oder einen Verbalkomplex dargestellt werden.
- semantisches Kriterium:
In Anbetracht des eng definierten Begriffs des Prädikats ist ein Prädikat das, was etwas über ein Subjekt aussagt. Je nach dem Verb als Vertreter des Prädikats handelt es sich um eine Handlung, einen Vorgang oder einen Zustand, der sich auf das Subjekt bezieht.
- morphologisches Kriterium:
Das Prädikat enthält als strukturellen Kern ein Verb in der finiten Form, das mit dem Subjekt in Person und Zahl kongruiert. Durch die finite Form des Verbs als Prädikat werden auch die Kategorien „Tempus“ und „Modus“ angezeigt.
(vgl. Metzler Lexikon Sprache 2016: 526f.; Duden 2012: 184f.; Dürscheid 2012: 35; Helbig/ Buscha 2001: 448ff.; https://grammis.ids-mannheim.de/terminologie/1157)
Erläuterung und Veranschaulichung der einzelnen Grundmerkmale anhand von Beispielen:
- ein Prädikat aus formaler Sicht:
Der Begriff „obligatorisch“ kommt in verschiedenen Kontexten vor (z.B. obligatorische Nebenkosten bezahlen, obligatorische Infos angeben, obligatorische Schulpflicht gilt für Jugendliche unter 16 usw.). Laut dem DWDS-Wörterbuch bedeutet es “verbindlich und nicht dem eigenen Ermessen überlassen, vorgeschrieben“ (vgl. https://www.dwds.de/wb/obligatorisch). Im Zusammenhang mit der Satzstruktur sind Satzglieder obligatorisch, wenn sie im Satz vorkommen müssen, d.h. sie können nicht willkürlich weggelassen werden. Ohne diese Satzglieder wäre der Satz grammatikalisch nicht korrekt, er wäre nicht akzeptabel.
z. B.: ✓ Wir arbeiten eng mit unseren Kunden zusammen. ⤫ Wir eng mit unseren Kunden. ☛ Der Satz ohne das Prädikat ist grammatikalisch falsch. Das Prädikat zusammenarbeiten muss im Satz vorkommen, es ist obligatorisch. |
Aus kategorialer Sicht wird das Prädikat durch die Wortart „Verb“ realisiert. Da einige morphologische Kategorien auch analytisch gebildet werden, kann ein Prädikat aus mehreren Teilen bestehen, d.h. komplex sein (Verbalkomplex).
z. B.: Jede Woche lese ich zahlreiche Fachpublikationen in Medizin. Zu seinen Lebzeiten schrieb er zahlreiche Romane, Kurzgeschichten und Erzählungen. ☛ Die Prädikate lese und schrieb bestehen aus einem Teil, sie sind einfach (einteilig).
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Verbalkomplexe können unterschiedliche strukturelle Eigenschaften aufweisen. Zum einen gibt es mehrteilige Prädikate, die bestimmte morphologische Kategorien des Verbs repräsentieren oder aus anderen grammatikalischen Gründen im Satz vorkommen und einen anderen verbalen Teil als das finite Verb enthalten; zum anderen gibt es mehrteilige Prädikate, die aus einem Verb und meist auch aus einem nichtverbalen Teil bestehen. Helbig/Buscha (2001: 448ff.) sprechen im ersten Fall von dem grammatischen Teil eines mehrteiligen Prädikats und im zweiten Fall von dem lexikalischen Teil eines mehrteiligen Prädikats.
z. B.: Der Verletzte wurde vom Notarzt versorgt. (Genus Verbi: Vorgangspassiv) So viele Fans sind aufs Konzert im Stern gekommen. (Tempus: Perfekt) Ich würde gerne weiterhin kostenlos Mitglied bleiben. (Modus: Konjunktiv II) Du musst dich registrieren, bevor du Beiträge verfassen kannst. (Modalverb) ☛ Mehrteilige Prädikate repräsentieren die morphologischen Kategorien des Verbs (Genus Verbi, Tempus, Modus) oder bestehen aus einem finiten Modalverb, das den Infinitiv eines Vollverbs an sich bindet. Bei morphologischen Kategorien des Verbs sind mehrteilige Prädikate vorhanden, wenn sie analytisch gebildet werden, d.h. wenn sie aus einem Hilfs und einem Vollverb in der entsprechenden Form bestehen. Da es sich bei den oben genannten Beispielen um grammatikalische Gründe für das Vorhandensein von mehrteiligen Prädikaten handelt, sind die anderen Teile des Prädikats als das finite Verb grammatische Prädikatsteile (vgl. Ebd.).
Nach zwei Stunden stieg er in sein Auto und fuhr heim. (Verbzusatz) Ich weiß, wie du dich fühlst. (Reflexivpronomen bei reflexiven Verben) Der liebe Bruder nahm von uns Abschied bis zum Nachmittag. (Funktionsverbgefüge) Man braucht jetzt nicht medial zu arbeiten, um an solche Infos zu kommen. (Infinitiv eines Vollverbs mit/ohne zu bei modal gebrauchten Verben) ☛ Mehrteilige Prädikate bestehen aus einem finiten Verb (zusammengesetztes Vollverb/Funktionsverb/Kopulaverben/kopulaähnliches Verb/modal gebrauchtes Verb/reflexives Verb) und einem Verbzusatz, einem Reflexivpronomen, einem Infinitiv des Vollverbs mit/ohne zu, einer Substantiv-/Adjektiv-/Adverbial-/Präpositionalgruppe. Die Gründe für das Vorhandensein anderer Teile des Prädikats in den obigen Beispielen sind nicht grammatikalischer, sondern lexikalischer oder morphologischer Natur (morphologisch im Sinne der Wortbildung). In diesen Fällen wird von dem lexikalischen Prädikatsteil gesprochen (vgl. Ebd.). So hat z. B. das Funktionsverbgefüge als Komplex aus einem Funktionsverb und einer Substantiv-/Präpositionalgruppe eine bestimmte Bedeutung; es trägt diese Bedeutung nur gemeinsam in einem Satz (nahm Abschied – verabschiedete sich / nahm ⤫ verabschiedete sich) oder das Verb fuhr heim ist nicht dasselbe wie nur fuhr. |
- ein Prädikat aus semantischer Sicht:
In der Position eines Prädikats kann ein Handlungsverb, ein Vorgangsverb oder ein Zustandsverb auftreten.
- Handlungsverben „bezeichnen eine Tätigkeit, Handlung, Aktivität eines belebten Wesens“ (vgl. Metzler Lexikon Sprache 2016: 261); sie setzen ein tätiges Subjekt voraus, das bewusst etwas tut, also aktiv ist.
- Vorgangsverben „bezeichnen Vorgänge, welche den Referenten des Subjektausdrucks betreffen, aber kein Agens aufweisen“ (vgl. Ebd. 2016: 759); das Subjekt ist kein aktives Agens, es ist von einer Veränderung, einem Prozess betroffen und in seinem aktuellen Zustand verändert.
- Zustandsverben „bezeichnen einen stabilen Zustand“ (vgl. Ebd. 2016: 790); das Subjekt ist weder ein aktives Agens noch unterliegt es einer Veränderung.
z. B.: Sie schreibt über ihr Leben, Schminke, Mode, Fashion und vieles mehr. Alexi und ich lachen noch immer über den Text. Ich sehe die Figuren vor mir – ich will mir von ihnen ein Bild machen. ☛ Die Prädikate schreibt, lachen, sehe sind Vertreter der semantischen Gruppe der Handlungsverben. Sie lassen sich folgendermaßen erfragen: Was tut das Subjekt? (➢ sie schreibt/ Alexi und ich lachen/ ich sehe)
Der Sage nach fielen sie anschließend in einen tiefen Schlaf aus dem sie hin und wieder erwachen, um mit dem Trinken fortzufahren. Stutzt man die Äste einer Weide, so wachsen aus den verbliebenen Kopfseiten innerhalb kürzester Zeit unzählige neue Äste. ☛ Die Prädikate fielen, erwachen, wachsen sind Vertreter der semantischen Gruppe der Vorgangsverben. Sie lassen sich folgendermaßen erfragen: Was passiert mit dem Subjekt? / Was erleidet das Subjekt? (➢ sie fielen in einen Schlaf/ sie erwachen/ Äste wachsen)
Das Wetter in Deutschland bleibt unbeständig. Das Haus steht auf einem 300 m2 großen Grundstück. Ich glaube, jetzt ist seine Zeit gekommen. ☛ Die Prädikate bleibt, steht, glaube sind Vertreter der semantischen Gruppe der Zustandsverben. Sie lassen sich folgendermaßen erfragen: Wie ist der Zustand des Subjektes? / Wo befindet sich das Subjekt? (➢ das Wetter bleibt so/ das Haus steht irgendwo/ ich glaube – meine Ansicht ist so)
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- ein Prädikat aus morphologischer Sicht:
Das finite Verb ist der strukturelle Kern des Prädikats. Dieser Kern kann ein Vollverb oder ein Nicht-Vollverb (Hilfsverb/Modalverb/modifizierendes Verb) sein. Finit bedeutet konjugiert, wobei das konjugierte Verb als Prädikat die Kategorien Person, Numerus, Tempus und Modus ausdrückt. Dies wird durch das gebundene verbale Morphem angezeigt, daher die Betrachtung des Prädikats aus morphologischer Sicht (Morphologie im Sinne der Wortbildung, Morphemlehre). Die Kategorien „Person und Numerus“ sind Kongruenzkategorien; sie zeigen die Kongruenz zwischen Subjekt und Prädikat. Die Kategorien “ Tempus und Modus “ sind keine Kongruenzkategorien. Mit Tempus wird das jeweilige Verbalgeschehen zeitlich lokalisiert und mit Modus wird die Stellungnahme des Sprechers zur Geltung der Äußerung zum Ausdruck gebracht (vgl. Radtke 1998: 111, 193).
z. B.: Wir koch|en für uns selbst. Du sprich|st mir aus der Seele. ↓ ↓ gebundenes grammatisches Morphem gebundenes grammatisches Morphem ☛ Die Prädikate kochen und sprichst erhalten ihre Endungen aufgrund ihrer Verbindung mit den Subjekten wir und du (➢ wir kochen, du sprichst). Die Subjekte und die Endungen der Prädikate stimmen miteinander überein (sie kongruieren). Das gebundene grammatische Morphem (Flexionsmorphem) drückt die Flexionskategorien „Person und Numerus“ aus. (Mehr zu Morphemtypen finden Sie z. B. in Fleischer 2012.)
Wir koch|en für uns selbst. ↓ gebundenes grammatisches Morphem: Person und Numerus (⇡) Tempus Modus ☛ Das Prädikat steht in diesem Satz im Präsens. Der Sachverhalt bezieht sich auf die Gegenwart. Im Deutschen entspricht die Bildung des Präsens dem konjugierten Verb nach dem Subjekt. Das Flexionsmorphem -en steht also nicht nur für Person und Numerus, sondern auch für Tempus. Das Gleiche gilt für den Modus. Das Prädikat steht in diesem Satz im Indikativ. Morphologisch wird dem Verb keine weitere Endung hinzugefügt, so dass das Flexionsmorphem -en auch den Modus ausdrückt. Das Verbalmorphem -en ein amalgamierter Komplex, der auf die Kategorien Person, Numerus, Tempus und Modus reagiert (vgl. Eroms 2000: 132). ☛ Die Kategorien Person und Numerus können sowohl von Vollverben als auch von Hilfsverben, Modalverben, modifizierenden Verben mit eigenen Formen gebildet werden; von den Kategorien Tempus und Modus ist dies nur für das Präsens und Präteritum sowie den Indikativ und Konjunktiv und nur für Vollverben möglich. (➢ Flexionsmorpheme können hier als Indikatoren für Kategorien identifiziert werden.) |
Wichtige Begriffe:
das Prädikat – prísudok, predikát
einteiliges Prädikat – jednoduchý slovesný tvar
mehrteiliges Prädikat – zložený slovesný tvar
der Verbalkomplex – zložený slovesný tvar
finit / finites Verb – finitný, určitý / finitné sloveso, sloveso v určitom tvare
das Verbalmorphem – slovesná morféma
das Flexionsmorphem – gramatická relačná morféma
die Kongruenz – kongruencia, zhoda medzi podmetom a prísudkom
Literatur
Duden (2012): Rechtschreibung und Grammatik. Mannheim & Zürich: Dudenverlag.
Dürscheid, Ch. (2012): Syntax. Grundlagen und Theorien. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Eroms, H.-W. (2000): Syntax der deutschen Sprache. Berlin: Walter de Gruyter.
Fleischer, W. (2012): Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. Berlin/Boston: Walter de Gruyter.
Glück, H./ Rödel, M. (Hg.) (2016): Metzler Lexikon Sprache. Stuttgart: Metzler Verlag.
Helbig, G./ Buscha, J. (2013): Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Berlin & München: Langenscheidt.
Radtke, P. (1998): Die Kategorien des deutschen Verbs: zur Semantik grammatischer Kategorien. Tübingen: Gunter Narr.
Digitale Quellen
Grammis: https://grammis.ids-mannheim.de/
DWDS: https://www.dwds.de/
Sketch Engine: https://app.sketchengine.eu/
Die Aufgaben
Offene Fragen:
- Das Prädikat ist ein obligatorisches Satzglied, d. h. es muss im Satz vorhanden sein, sonst ist der Satz grammatikalisch nicht korrekt. Trotz dieser Tatsache kann man Sätze beobachten, die kein Prädikat enthalten. Sind das keine Sätze? Wie können solche Sätze als inhaltliche Einheiten erklärt werden? Überlegen Sie!
- Verben als Prädikate lassen sich hinsichtlich des semantischen Kriteriums in die semantischen Klassen der Verben Handlungsverben, Vorgangsverben und Zustandsverben Einige Verben können mehr als einer semantischen Verbklasse zugeordnet werden. Überlegen Sie, warum!