AUSGEWÄHLTE KAPITEL AUS DER SYNTAX
FREIE DATIVE (DATfrei)
Die Grundmerkmale:
- freie Dative werden im Kasus nicht direkt durch das Prädikat des Satzes bestimmt;
- sie sind mit dem Prädikat nur lose verbunden;
- sie sind nicht verbspezifisch und daher frei;
- semantisch gibt es fünf Arten des freien Dativs: Dativus Commodi, Dativus Incommodi, Dativus Possessivus (Pertinenzdativ), Dativus Iudicantis und Dativus Ethicus;
- morphosyntaktisch können sie als eine Substantiv- oder Pronominalgruppe realisiert werden (Dativus Ethicus kann nur pronominal realisiert werden);
- außer Dativus Ethicus sind sie erfragbar.
(vgl. Metzler Lexikon Sprache 2016: 201; Pittner/Berman 2015: 54-59; Dürscheid 2012: 41f.; Helbig/ Buscha 2013: 463f.; https://grammis.ids-mannheim.de/terminologie/2028)
Erläuterung und Veranschaulichung der Grundmerkmale anhand von Beispielen:
Freie Dative sind eine besondere Art von Satzgliedern. Helbig/Buscha (2013: 462ff.) betrachten sie als sekundäre Satzglieder zum Satz und bringen damit ihren Status als Satzglied ohne direkte Abhängigkeit von der Verbalsemantik zum Ausdruck. Sie unterscheiden sich vom Dativobjekt, das formal gleich aussieht, dadurch, dass der Kasus nicht durch das Verb als Prädikat bestimmt wird. Damit hängt ein weiteres Merkmal zusammen, dass sie nicht verbspezifisch sind. Diejenigen Satzglieder, die verbspezifisch sind, werden nur mit einer bestimmten Gruppe von Verben kombiniert (z. B. Akkusativobjekt + transitive Verben/ backen, behandeln, beschreiben, empfehlen, kochen, lesen, malen, schreiben, zerkleinern…; Dativobjekt + Verben, die ein Dativobjekt aufgrund der Semantik erfordern/ erteilen, geben, leihen, schenken, widmen… usw.). Dies ist zwar ein gutes Argument für die freie Kombinierbarkeit von freien Dativen, aber von völliger Beliebigkeit kann man hier nicht sprechen. Eine der Einschränkungen ist ihre semantische Leistung. Dies regelt zumindest teilweise nicht nur die Kombinierbarkeit mit dem Verb als Prädikat, sondern auch mit anderen Satzgliedern.
Es gibt fünf Arten des freien Dativs:
- Dativus Commodi (auch Dativus Sympathikus)
- Dativus Incommodi
- Dativus Possessivus (auch Pertinenzdativ)
- Dativus Iudicantis (auch Dativ des Beurteilers, Standpunkt-Dativ)
- Dativus Ethicus
Dativus Commodi (auch Dativus Sympathikus): bezeichnet eine Person, die der Nutznießer einer Handlung ist; er wird mit Verben kombiniert, die willentlich gesteuerte Handlungen bezeichnen (Agens in der Position des Subjekts); Dativus Commodi kann durch die Präpositionalgruppe für + Substantiv/Pronomen im Akkusativ ersetzt werden (vgl. Dürscheid 2012: 41; Engel 2004: 99; Pittner/ Berman 2015: 55; https://grammis.ids-mannheim.de/terminologie).
z.B.:
Ich repariere Ihnen Ihre Tiffany Lampe fachmännisch und falls möglich originalgetreu.
Jedes Jahr backt sie ihrer Tochter eine Geburtstagstorte.
☛ sowohl das Verb reparieren als auch das Verb backen sind Handlungsverben, bei denen das Subjekt eine aktive Person ist und die Handlung freiwillig ausführt; außerdem handelt es sich um transitive Verben, die semantisch eher ein Akkusativobjekt als ein Dativobjekt erfordern; daher sind die Satzglieder im Dativ kein Dativobjekt, sondern ein freier Dativ, der aus dem Satz ausgeschlossen werden kann (die Sätze sind auch ohne dieses Satzglied grammatikalisch korrekt und sinnvoll); der freie Dativ wird durch die Person repräsentiert, zu deren Gunsten etwas getan wird. (Wenn ich etwas für jemanden repariere, tue ich etwas Positives für diese Person / Wenn ich etwas für jemanden backe, mache ich diese Person glücklich, d. h. ich tue etwas Positives für diese Person.)
☛ Dativus Commodi kann durch die Präpositionalgruppe für + Substantiv/Pronomen substituiert werden; dies gilt auch umgekehrt.
Wir backen für Sie eine Geburtstagstorte nach speziellem Museumsrezept.
→ Wir backen Ihnen eine Geburtstagstorte nach speziellem Museumsrezept.
Dativus Incommodi: bezeichnet eine Person, die der Geschädigte einer Handlung ist; er wird häufig mit Vorgangsverben kombiniert (Verben, die den Übergang von einem Zustand in einen anderen anzeigen) (vgl. Ebd.).
z.B.:
Doch so langsam welken mir die Blätter weg.
In die Regierung haben wir einen Keil getrieben, weil sie eine Lohnleitlinie durchsetzen wollten, und die haben wir ihnen kaputtgemacht.
☛ im ersten Beispielsatz steht das Verb wegwelken, das ein Vorgangsverb ist (Zustandsänderung); im zweiten Beispielsatz steht das Handlungsverb, das ebenfalls transitiv ist; beide Verben erfordern semantisch kein Dativobjekt, so dass das Satzglied im Dativ aus dem Satz ausgeschlossen werden kann (freier Dativ; die Sätze sind auch ohne dieses Satzglied grammatikalisch korrekt und sinnvoll); da es sich bei den Beispielsätzen um negative Sachverhalte handelt, wird durch die Hinzufügung des freien Dativs der Geschädigte ausdrücklich benannt.
Dativus Possessivus (auch Pertinenzdativ): dieser freie Dativ wird als sekundäres Satzglied zu einem anderen Satzglied als Prädikat betrachtet, weshalb einige Autoren ihn als Attribut ansehen. (vgl. Helbig/Buscha 2013: 466ff.; Engel 2004: 100); durch Dativus Possessivus wird ein Besitzerverhältnis angezeigt; es werden drei Untertypen unterschieden: possessiver Dativ zum Subjekt, possessiver Dativ zum Objekt und possessiver Dativ zur Adverbialbestimmung.
z.B.:
Sie sieht ein wenig zufriedener aus, während mir die Finger von den vielen Knötchen wehtun. → …, während meine Finger von den vielen Knötchen wehtun. (Besitzerverhältnis – die Finger gehören mir, daher meine Finger) (possessiver Dativ zum Subjekt – die Finger/Subjekt im Satz)
Schlussendlich zieht die Mutter unter Widerstand die Kleine aus, wäscht sie und putzt ihr die Zähne. → die Mutter putzt die Zähne der Kleinen → die Mutter putzt ihre Zähne (Besitzerverhältnis – die Zähne gehören der Kleinen, daher ihre Zähne) (possessiver Dativ zum Objekt – die Zähne/Akkusativobjekt im Satz)
Joseph lacht lange und klopft mir auf dem Rücken. → Joseph lacht lange und klopft auf meinem Rücken (Besitzerverhältnis – der Rücken gehört mir, daher auf meinem Rücken) (possessiver Dativ zur Adverbialbestimmung – auf dem Rücken/Adverbialbestimmung im Satz)
Dativus Iudicantis (auch Dativ des Beurteilers, Standpunkt-Dativ): „ist Agens des Urteilens über einen dargestellten Sachverhalt“ (vgl. https://grammis.ids-mannheim.de/terminologie/2038); in einem Satz mit Dativus Iudicantis müssen prädikativ und adverbial gebrauchte Adjektive vorkommen, denen die Partikel zu oder genug vorangestellt werden; Dativus Iudicantis kann durch die Formel „meiner Meinung nach“ ersetzt werden (vgl. Ebd.).
z.B.:
Schwimmmeister?! Nee, der schwimmt mir zu langsam! → meiner Meinung nach schwimmt der zu langsam (meine Beurteilung)
Die zu erwartenden Erträge waren ihr zu gering. → ihrer Meinung nach waren die zu erwartenden Erträge zu gering (ihre Beurteilung)
Dativus Ethicus: ist der einzige freie Dativ, der nur pronominal realisiert werden kann; durch ihn wird eine persönliche Anteilnahme und Betroffenheit zum Ausdruck gebracht.
z.B.:
„Dass du mir nicht das Podium stürmst und wieder Streit mit der Frau Grütters anfängst“, warnt die Frau halb scherzend.
„Falle mir nicht in den Kanal! „
Wichtige Begriffe:
freie Dative – voľný datív; nejde o väzobne viazaný pád, t. j. nie je determinovaný významom slovesa ako prísudku; je motivovaný sémanticky
Dativus Commodi – prospechový datív
Dativus Incommodi – datív označujúci osobu, v neprospech ktorej sa niečo deje
Dativus Possessivus – posesívny datív
Dativus Iudicantis – hodnotiaci/ postojový datív
Dativus Ethicus – etický datív
Literatur
Dürscheid, Ch. (2012): Syntax. Grundlagen und Theorien. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Engel, U. (2004): Deutsche Grammatik, Neubearbeitung. München: Iudicium.
Glück, H./ Rödel, M. (Hg.) (2016): Metzler Lexikon Sprache. Stuttgart: Metzler Verlag.
Helbig, G./ Buscha, J. (2013): Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Berlin & München: Langenscheidt.
Oravec, J./ Bajzíková, E. (1986): Súčasný slovenský spisovný jazyk. Syntax. Bratislava: Slovenské pedagogické nakladateľstvo.
Pittner, K./ Berman, J. (2015): Deutsche Syntax. Ein Arbeitsbuch. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag.
Digitale Quellen
Grammis: https://grammis.ids-mannheim.de/terminologie
Sketch Engine: https://app.sketchengine.eu/
Die Aufgaben
Offene Frage
Beim possessiven Dativ werden drei Untertypen unterschieden: possessiver Dativ zum Subjekt, possessiver Dativ zum Objekt und possessiver Dativ zur Adverbialbestimmung.
Finden Sie für jeden Untertyp ein Beispiel (Beispielsatz) und denken Sie anhand der Beispiele über das possessive Verhältnis zwischen dem possessiven Dativ und dem jeweiligen Satzglied (Subjekt/Objekt/Adverbialbestimmung) nach!